In der australischen Hauptstadt ward bislang selten Weltgeschichte geschrieben. Am Freitag, nun ja, war es irgendwie so weit. Beim Summernats-Festival, der Jahreshauptversammlung der australischen Autonarren, noch bis Sonntagabend in Canberra abgehalten, wurde ein Weltrekord aufgestellt. Für den größten Synchron-Burnout. 69 PS-Monster ließen gleichzeitig die Reifen qualmen.
Zwei Stunden vor dem großen Moment flirrt das Gelände des Canberra Exhibition Park unter der brennglasgleichen australischen Januarsonne. 37 Grad schon am Morgen. Wolkenloser könnte kein Himmel sein. Dennoch, laut vernehmbar, ein Donnern. Und wieder. Gefolgt von einem Röhren. Einem Rasseln. Dann ein Gurgeln, das im nächsten Moment in ein markerschütterndes Kreischen übergeht.
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Es ist die cruise route, der Kurs um das Veranstaltungs- und Campinggelände (auf dem an Normwochenenden der Farmers Market seine Feldfrüchte feilbietet), der diese Geräuschorgie gebiert. Der Rundkurs ist die Lebensader des Festivals: Hier drehen sie alle, alle ihre vielen, vielen Runden. Die Holden Gemini. Die Holden Commodore V8. Die Holden HQ Style Side Ute. Die Ford Falcon, die Ford Customline. Ein einziger taglanger Autokorso. Brummend, gurgelnd, rasselnd, donnernd.
An vielen Stellen ist der Rundkurs eingegrenzt von ein Meter hohen, leicht keilförmigen Betonblöcken. Sie geben dem Arrangement die Anmutung einer Halfpipe. Was ganz trefflich passt. Denn hier gilt‘s. Wer hier reinfährt, kann gewiss sein, alle Augen sind auf ihn gerichtet – yeah! Es ist der Ort, an dem sich die Sitzsportler per Pedaldruck austoben, aufkreischend, rauchheischend im Achtzylindertakt.
Es liegt der Dauerduft von Autoreifen in der Luft, die unter sich überschnell drehenden Felgen ihren Aggregatzustand geändert haben und fortan als graublaue Wolken ihr (nunmehr flüchtiges) Dasein fristen. Höchstens vorübergehend mischt sich dazwischen eine Woge Marihuana-Geschmack oder der Geruch von Bratwurst sausages, „German style“.
Neben dem Autokorso-Rundkurs: ein Parkplatz, der – O-Ton Veranstalter – Australiens „tuffest cars“ zur Schau stellt. Viele der beinharten Gefährte haben ihren Motorenschlund weit aufgerissen. Wie farbenfrohe, taubeträufelte Venusfallen locken sie Handykameras an, schlucken sie unersättlich staunende Blicke.
Geschichte wird gemacht, es geht voran. Noch eine Stunde. Noch immer steigt das Thermometer. Elendig aggressive Fliegen saugen sich an schweißnassen Wangen fest, suchen Augen, Ohren, Nasen. Die T-Shirts kleben rücklings wie bäuchlings, vorne meist ein wenig mehr, wegen des Aufdrucks. Beliebtes Motiv ist ein Summernats-Cartoon, über dem eine feine Alliteration verfängt: BLOWERS, BURNOUTS, BOOB‘S. In Großbuchstaben. Mit Apostroph.
Die Selbstverteidigung wider den UV-Strahlen-Beschuss treibt die verschiedensten modischen Blüten. In der großen Überzahl greifen die Männer – der Frauenanteil auf dem Festivalgelände liegt im einstelligen Bereich – zu Sombreros. Gefolgt von Cowboyhüten und T-Shirts, die zum Turban gewickelt sind. Hier und da begnügt man sich mit einer immerhin nackenschonenden Vokuhila-Matte.
Mehr als 10.000 Schaulustige wollen dem dezibelstarken Spektakel beiwohnen, auf einer Tribüne (die nur zu einem kleineren Teil überdacht ist, für die „Gold and Silver Passholder“) und auf den umliegenden leichten Anhöhen. Ein Hubschrauber kreist aufgeregt über dem Gelände.
Ein paar Minuten noch. Die Bühne ist bereitet, die ersten muscle cars nehmen blubbernd Position ein. Mancher Motor scheint, übergroß, chromblitzend, an ein hübsch hergerichtetes Auto angedockt zu haben wie ein benzinsaugendes Parasit. Und türmt sich nun höher hinauf als das Dach seines Wirtsgefährtes. Der Weltrekordversuch, der in Anwesenheit des australischen „Guinness World Records“-Gesandten Chris Sheed stattfindet, ist für 11 Uhr vormittags angesetzt. Die Vorgabe: Mindestens 50 Fahrzeuge. Mindestens 10 Sekunden lang die Hinterräder durchdrehen lassen.
Ein Sombrero-Verkäufer schreitet durch die Stuhlreihen. Als bereits mehr als 40 Autos in Reih und Glied gebracht sind, überkommt es den Anheizer am Mikro: „Ooooh… There‘s a LOT of horsepowa hea!“ Über 30.000 PS, ruft er, werden von der Leine gelassen. Vermutlich noch einige mehr. Aber ganz konkret wissen es auch die Summernats-Organisatoren nicht. Hey, was soll‘s.
Ziemlich pünktlich um 11 Uhr versammeln sich 69 Männer zwischen den Autos zu einer Besprechungstraube, sie wirken wie eine sehr, sehr große Rugbymannschaft vor dem Anpfiff.
Fünf nach elf, der Hubschrauberschatten wabert unentwegt über die ausgedörrte angrenzende Wiese, die Fahrer gehen auseinander. „Make some noooise!“, brüllt der Anheizer ins Mikro, dann sagt er heiser etwas von „history“, es geht im Jubel unter.
Der Massen-Burnout ist einem guten Zweck gewidmet: dem Nichtrauchen, sinnigerweise. Die australische Regierung sponsert die Veranstaltung. Dafür darf sie an den Betonblöcken, die die Zuschauer von den Weltrekord-Reifenschleudern trennen, Werbeplakate aufhängen: „My QuitBuddy – Quit Smoking App – Download Free“.
Als zwei Minuten später die Rekordjagd beginnt, drei!, zwei!, eins!, verschwinden sie hinter Schall und Rauch.
Alles verschwindet hinter Schall und Rauch.
Die Sicht, der Sauerstoff – einfach weg. Wie bei einem Vulkanausbruch. Wird der Hubschrauberpilot später sagen. Als würde man in einem Flugzeug durch eine Wolke fliegen. So beschreibt es Guinness-Weltrekordrichter Chris Sheedy. Weiter wird er sagen, dass dieser Weltrekord, nach 14 Jahren, in denen er so manchen atemberaubenden und abgedrehten Rekord bezeugen durfte, der womöglich atemberaubendste und abgedrehteste sei. Ein Platz in seinen persönlichen Top 3 sei ihm jedenfalls sicher. Dann wird er staatstragend: „Dies ist ein ausgesprochen australischer Rekord. Würde jemand, anderswo auf der Welt, ihn brechen – die Australier würden das als Beleidigung empfinden.“
Als der Rauch sich verzieht, sind alle Augen auf ihn, den Richter, gerichtet. Sheedy streckt den Arm nach oben, macht eine Faust, nur der Daumen bleibt waagrecht gestreckt. Nach einigen Sekunden dreht der Daumen nach oben, in den Himmel über der Hauptstadt, der nicht länger wolkenlos ist: Eine sich hoch auftürmende Wolke aus ehemaligen Reifen zieht über das Stadion hinweg, Richtung Innenstadt, und ist auch zehn Minuten später noch nicht vom Horizont verschwunden.
Es ist vollbracht! Ein brandneuer Weltrekord! Aaawesome! Immer wieder „Aaawesome!“ finden es die Fahrer, in den Interviews danach. Einer spricht mit bebender Stimme ins Mikrofon: „That was the most amazing thing I‘ve ever seen.“
Ein rasanter Start in ein besonderes Jahr war es allemal: Die Stadt Canberra feiert 2013 ihren hundertsten Geburtstag. Na, dann. Happy birthday, mate!
Fotos: Lukas Coch