amazon kindle 2eBooks sind seit Jahren von Hype und Hoffnung begleitet. Nun ist mit neuen Geräten und einem Massenangebot an digitalen Büchern einige Bewegung in den Markt der elektronischen Schmöker gekommen. An der Vorfront steht der Kindle von Amazon. Nun greift Sony mit der neuesten Version seines „Reader“ eBooks an.

Die Ära der E-Books ist nun also endgültig auch auf dem „alten“ Kontinent eingeläutet. Ende August im Rahmen der IFA in Berlin erstmals öffentlich präsentiert, feierte der neue Sony Reader vergangene Woche gleich Europa-Premiere. In Grossbritannien, um genau zu sein. In anderen europäischen Ländern ist mit einem Verkaufsstart des schicken kleinen eBuch-Lesegerätes in Taschenbuchformat, das bis zu 160 digitalisierte Schmöker speichern kann, Anfang 2009 zu rechnen.
Eigentlich gibt es schon seit ein paar Jahren hierzulande und in anderen Teilen Europas Versuche, dem Markt für elektronische Bücher Leben einzuhauchen. Jedoch vergebens.
Obwohl ambitioniert gestartet, fristen eBooks hier aufgrund wenig ausgereifter Geräte und mangelnder Inhalten, sprich elektronischem Lesestoff, nur ein Nischendasein.

Auch im techverliebten Amerika sollte das lange Zeit so sein. Bis im vergangenen Jahr das Internet-Medienhaus Amazon den Kindle (siehe Bild von einer „Kindle“-Demo oben) einführte, der die Szene geradezu euphorisierte. Bislang ist der eBook-Star nur in den USA erhältlich. Der neue Sony Reader ist nun so eine Art Digital-Buch-Vorbote für Europa.

Denn der Kindle wird kommen. Keine Frage. Zu hoch sind die Wellen, die dieser seit November 2007 erhältliche designschwache Flachmann mit der unkonventionellen Tastatur und dem Schwarz-Weiss-Bildschirm geschlagen hat. Von elementaren medialen Umwälzungen ist die Rede. Dabei verströmt das graubeige Gerät im schnöden 80er-Jahre-Design auf den ersten Blick eher den Hauch von digitaler Steinzeit als von medialer Revolution, die seine Aura eigentlich ausmacht.

Glaubt man Experten, soll sich schon abzeichnen, dass Amazons eLesemaschine eine Entwicklung in Gang setzen könnte, die die Lesegewohnheiten auf ähnliche Weise revolutionieren werde wie der Digi-Musikspieler iPod die Hörgewohnheiten der Menschen. Medienwissenschaftler ziehen Vergleiche zu den ersten Laptops Anfang der Neunziger Jahre.
Dabei ist bislang völlig unklar, wie das Elektro-Buchgerät überhaupt ankommt. Die Web-Firma aus Seattle gibt nur nebulöse Auskünfte zu den Absatzzahlen. Bei Techblogs kursieren Gerüchte, Amazon habe bis dato nicht mehr als 240.000 Einheiten verkauft.

Stolze 359 Dollar und damit fast so viel wie ein Einsteiger-Laptop kostet der Kindle – zu viel, um als Massenprodukt punkten zu können. Jedoch erreicht das Angebot an eBooks inzwischen quasi Massencharakter: Über 160.000 Digital-Bücher gibt es im Amazon-Webstore; der eBook-Stückpreis liegt mit 9,99 Dollar unter dem der Paperback-Pendants. Bis zu 200 eBücher kann der Kindle speichern. Zudem lassen sich fast zwei Dutzend digitalisierte Zeitungen sowie 350 Weblogs über das Mobilfunknetz abrufen. Beim Kindle-Verkaufsstart waren es gerade mal 1.000 Titel.

Und immer mehr Verlage springen auf den Digi-Buchzug auf. Schliesslich sind die ökonomischen Prognosen hervorragend und der eVertrieb ist für die Verleger potenziell höchst profitabel: Einmal digitalisiert lässt sich jedes Buch praktisch ohne Zusatzkosten millionenfach verkaufen. „Vergriffen“ oder „nicht mehr lieferbar“ könnten zu Fremdwörtern avancieren.

Davon profitieren nun eben auch Firmen wie Sony, die mit dem Reader im Kindle-Windschatten zu punkten versuchen. Bis dato war auch das japanische Lese-Gadget ein eher unglücklicher Hightech-Protagonist; die vor zwei Jahren in den USA eingeführte Vorgängerversion schmorte bislang nur kaum beachtet in den Regalen der Händler. Anderen Geräten wie etwa dem CyBook von Bookeen, dem Jinke Hanlin eReader oder dem auch in der Schweiz erhältlichen iLiad von iRex sollte es kaum anders gehen – nur Hightech-affine „Early Adaptors“ zog die erste Generation der eBooks in ihren Bann.

Doch der Kindle ist konzeptionell und technisch deutlich weiter als seine Vorgänger. So funktioniert etwa der Abruf des Lesestoffes kabellos über das Mobilfunknetz, genauer gesagt über den EVDO-Funkdatenstandard beim US-Provider Sprint. Zusätzliche Übertragungskosten entstehen keine. Der Download eines kompletten Buches dauert weniger als eine Minute. Ein Computer wird nicht benötigt – ein deutlicher Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenzprodukten. Selbst das nun vorgestellte Update des Sony Reader leidet unter diesem Manko und muss an einen PC angeschlossen sein, um Digi-Bücher herunterzuladen.

Auch in Bezug auf den Stromverbrauch kann der Kindle mit seinen Lithium-Polymer-Batterien punkten: Die Akkulaufzeit beträgt je nach Einsatz bis zu einer Woche. Zu verdanken ist dies insbesondere dem Strom sparenden Kindle Schwarzweiss-Bildschirm mit einer Auflösung von 600×800 Pixeln, der im Gegensatz zu konventionellen LCD-Displays ohne Hintergrundbeleuchtung auskommt. Weiterer Vorteil: die elektronische Tinte, die sogenannte „e-Ink“ von der Firma E Ink Corporation, ist selbst bei direkter Sonneneinstrahlung lesbar – sogar mit Sonnenbrille.
Zudem ist dieses Darstellungsverfahren, das auch andere eBook-Geräte einsetzen, besonders augenschonend. Buchstaben sind so gut lesbar wie auf echtem Papier, da flimmerfrei dargestellt: Statt das Bild wie bei konventionellen Displays mehrfach pro Sekunde neu aufzubauen, baut sich jede Seite beim Kindle nur einmal auf.
Die US-Zeitschrift „Esquire“ wird dieselbe Technik bei der Gestaltung der Titelseite ihrer Oktober-Jubiläumsausgabe einsetzen. Mal abgesehen vom PR-Effekt für das Lifestyle-Magazin darf über den Sinn dieser Aktion gestritten werden, da der Inhalt des Batterie gespeisten Covers nicht aktualisiert werden kann.

Allen Vorzügen zum Trotz stossen die e-Ink-Schirme jedoch an ihre Grenzen, sofern es über die Darstellung von einfachem Text hinausgeht. Bilder etwa lassen sich nur als matschige monochrome Pixelwüsten darstellen. Entsprechend ist der Kindle für grafiklastige Publikationen wie Kunst- oder Kochbücher nicht geeignet. Ausserdem wird in der Dunkelheit wie bei einem herkömmlichen Buch Leselicht benötigt.
Skeptisch beäugt werden muss auch Amazons Entscheidung, beim Kindle auf ein geschlossenes System zu setzen. Das bedeutet, dass das Unternehmen proprietäre Software (auf Linux-Basis) einsetzt, was den Datenaustausch mit anderen Computer-Systemen praktisch unmöglich macht. Der Kindle kann daher etwa nicht einmal die weit verbreiteten und für längere Texte bewährten PDF-Dateien verarbeiten.
Amazon kontrolliere mit dieser Einbahnstrassen-Technik viel zu stark, was die Nutzer herunterladen, monieren Kritiker. Firmenvertreter halten dagegen, dass nur so sichergestellt werden könne, dass sich der Kindle so unkompliziert wie ein Buch „bedienen“ lasse.

Die Kindle-Väter in Seattle haben bislang noch keine offiziellen Pläne, das Gerät auch ausserhalb der USA zu offerieren. Auch über Wochen kursierende Branchengerüchte, der Online-Händler arbeite an einem Kindle-Upgrade, wies das Unternehmen zurück.

In Gerangel um die besten (Start-)Plätze im globalen eBook-Markt kommt Amazon nun jedoch durch den neuen Sony Reader – und dessen frühen Europa-Start – unter Druck.
Aufgrund des ergonomischeren und schickeren Designs, guter Interaktivitätsmöglichkeiten sowie einer offeneren Systeminfrastruktur darf man dem Sony Reader, der neben PDF- und MP3-Dateien auch RSS-Newsfeeds verarbeiten kann, gute Chancen einräumen, gegen den aktuellen Platzhirsch Kindle zu punkten.
Auch die Versorgungslage mit Inhalten – bislang ein massives Problem für den Reader – dürfte sich für Sony verbessern, da immer mehr Verlage Interesse an Digital-Publikationen bekunden.

So oder so wird sich die Zukunft der Schmöker-Gadgets mitunter an den Inhalten und damit auch an den Marketingstrategien der Verlage entscheiden: Nicht anders als im Video-Spielekonsolen-Markt wird Erfolg oder Misserfolg einer eBook-Plattform von den verfügbaren Titeln bestimmt.
Und schliesslich gibt es da ja noch die längst omnipräsenten Laptops und ausgeklügelten Smartphones mit hochauflösenden LCD-Displays à la Apple iPhone, die mehr und mehr zu mobilen Universal-Unterhaltern mutieren und damit natürlich auch als eBook-Lesegeräte um die Augäpfel techaffiner Leseratten buhlen. Und das ganz ohne Zusatzkosten für neue (Stand-alone-)Hardware und zusätzliches Gepäck.

Jochen Siegle, NZZ am Sonntag