Das Fernsehen ändert sich, weil neue Verbreitungswege für Bewegtbild zur Verfügung stehen. Auf diese prägnante Diagnose kann man die aktuelle Diskussion um Smart-TV und den Markteintritt neuer Mitspieler in die Programmdistribution bringen. Um solche Fragen ging es bei den Audiovisual Media Days im Juni in München.
Schon die Auswahl der Referenten zeigte, aus welcher Ecke man diesen Wandel betrachten wollte. Kein Vertreter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, statt dessen RTL, Pro7, Verlage und Werbetreibende. So fragte die erste Podiumsdiskussion auch forsch: „Was wir von der Vereinigung von Fernsehen und Internet erwarten dürfen.“ Man könnte ja auch fragen, was wir von dieser Vereinigung befürchten müssen.
Dass die Entwicklung aus Sicht von Google, d.h. Google-TV oder Youtube, sehr erfreulich verläuft, untermauerte Dr. Stefan Tweraser, Chef von Google Deutschland, mit Zahlen. Für 2013 erwarte man, dass 90 % des Internetverkehrs aus Video bestünden. Konsumenten und Werber schätzten diesen Verbreitungsweg gleichermaßen. In jeder Minute würden auf Youtube 35 Stunden Video hochgeladen. Kostenpflichtige Videos würden gut angenommen, und allzu nervige Werbung werde vom Nutzer sofort abgestraft. So gesehen hätte man hier die Zukunft des Fernsehens vor sich.
Unterschiedliche technische Plattformen und Geschäftsmodelle
Diese optimistische Betrachtung war für das Endgerät Computer sicherlich unstrittig, doch sobald es um die Konsequenzen für den Fernsehmarkt ging, wurden die Verhältnisse unübersichtlich. Smart-TV heißt in Europa und vor allem in Deutschland technisch HbbTV, eine Plattform, über deren internationale Durchsetzbarkeit man unterschiedlicher Meinung war.
Jedenfalls bleiben vorerst auch alle Parallel- und Konkurrenzentwürfe der Endgerätehersteller oder Internetfirmen aktiv und relevant. So fand Michael Stenberg von Yahoo nichts dabei, seine Widget-Architektur als „offene Plattform“ zu deklarieren und dafür auch einen Knopf auf der Fernbedienung zu erwarten. Die Telekom auf der anderen Seite, hier von Gert von Manteuffel vertreten, erklärte, dass ihr IP-TV-Produkt Entertain an sich schon ein vorbildliches Hybridfernsehen darstelle und demzufolge HbbTV weder unterstütze, noch brauche.
Die Expansion der Telekom gehe in eine andere Richtung, nämlich das Reichweitenproblem zu überbrücken. Weil schnelles Internet nicht flächendeckend zur Verfügung steht, bietet man nun gewissermaßen eine Hybriddistribution an. Die audiovisuellen Programminhalte werden dem Kunden über Satellit zugespielt, der Datenverkehr wird über die jeweilige lokale Telekommunikationsinfrastruktur abgewickelt.
Das ist eine aus Sicht der Telekom praktische und aufgrund der Arbeitsteilung zwischen Verteil- und Individualkommunikation auch sinnvolle Konzeption. Ob sie sich allerdings zu einem attraktiven Preis wird anbieten lassen, bleibt dahingestellt. Oder anders gefragt: Reicht der Mehrwert der Datenwolke hinter dem normalen Programm als Attraktion aus?
Eine ganz andere, nämlich kostenlose Art des Internet-Fernsehens stellte der Schweizer Beat Knecht von Zattoo vor, einem Web-Portal mit 190 Kanälen. Geld wird mit Kanalwechselwerbung verdient, aber die zahlenden Nutzer tragen immerhin 25 % des Erlöses bei. Das Konzept scheint aufzugehen, denn 90 % der Nutzer, so Knecht, fühlten sich durch die Werbung nicht gestört.
Der Markterfolg ist mit 2 Mio. Abonnenten in der kleinen Schweiz beträchtlich, mit 3 Mio. in Deutschland erfreulich, aber ausbaufähig. Knecht kritisierte am derzeitigen Hybridfernsehen die Exklusiv-Strategien der deutschen Privatsender und der großen Endgerätehersteller. Auch bei der Ergonomie liege vieles noch im Argen. Unentwickelt und undeutlich sei außerdem die Integration der sozialen Komponente ins Fernseherlebnis. Knecht zitierte eine Untersuchung, wonach nur 25 % der Zuschauer wissen wollten, was ihre Freunde anschauten. Die Verknüpfung des linearen und unidirektionalen Fernsehens mit dem Sozialen Web wird also nicht einfach sein.
Podcaster wie du und ich
Zum Schluss präsentierte der zweitägige Kongress noch zwei Podcaster aus der freien Wildbahn, die die Verhältnisse im realen Internet schilderten. Christian Mießner erzielt mit seinen Videos über Yoga und Windsurfen etwa 9000 Abrufe pro Monat. Philipp Riederle aus Burgau erläutert in seinem Videoblog die Bedienung des iPhones und seiner Anwendungen.
Das wäre nicht besonders aufregend, wenn er nicht erst 16 Jahre alt wäre, sein Hobby mit dem Schulunterricht zu koordinieren hätte und zwecks Sicherung der technischen Infrastruktur eine Firma hätte gründen müssen. Dass er auch auf Kongressen herumgereicht wird, scheint Ausdruck der hierzulande gepflegten Sehnsucht zu sein, sagen zu können: seht her, es geht doch; man kann im Internet Geld verdienen. Man möchte sich zu Hoffnung und Mut animieren, denn wenn ein 16-Jähriger es schafft, müsste es jeder schaffen können. Zumindest sollten es die digitalen Eingeborenen schaffen können …