Silicon Valley: Talentierte Sotware-Entwickler verzweifelt gesucht
Mitten in einer der schlimmsten US-Wirtschaftskrisen der Nachkriegszeit entwickelt sich im Silicon Valley ein Wettlauf um Fachkräfte. Technologie-Startups, Social-Media-Firmen und einige der größten IT-Konzerne buhlen um Ingenieure und Software-Entwickler. Viele Personalabteilungen müssen Überstunden machen, um die Einstellungswelle zu bewältigen; Vermittlungsagenturen haben Hochkonjunktur.

Viele Wirtschaftsexperten sind ob des Phänomens perplex: Die Arbeitslosigkeit in der Region um San Francisco liegt bei über elf Prozent – fast zwei Prozentpunkte höher als im Landesdurchschnitt. Die Rezession hatte auch den Technologiesektor empfindlich getroffen. Dazu kommt noch eine anhaltende Konsolidierungswelle bei Computer- und Software-Firmen, die zusätzliche Arbeitsplätze kostet. Und doch suchen insbesondere junge Firmen und internetorientierte Unternehmen fast verzweifelt nach berufserfahrenen Mitarbeitern für die Produktentwicklung.

Bei genauem Hinsehen allerdings wird die Diskrepanz klar. Die meisten Arbeitssuchenden haben nicht die verlangten Qualifikationen. „Es gibt nicht annähernd genug Ingenieure, Entwickler und Wissenschaftler im Silicon Valley“, stellt Greg Mikulin von der Personalagentur Clarity in Palo Alto fest. Berufserfahrene Leute mit dem richtigen Werdegang und entsprechender Motivation seien alle in Lohn und Brot, denn der Bedarf an hochkarätigen Entwicklern habe bereits vor einem Jahr angezogen.

Richtig in Schwung kam der Einstellungsboom dann im Frühjahr 2010. Noch immer gingen in der ersten Jahreshälfte Arbeitsplätze verloren. Im Startup-Segment jedoch und bestimmten Unternehmensbereichen der großen IT-Firmen wurden neue Stellen geschaffen. Das Gegengewicht zur konjunkturellen Arbeitsmarktflaute wuchs nach der Sommerpause. Im Oktober meldete die Region um San Francisco das erste Job-Wachstum seit 23 Monaten. Konzerne wie Apple, Cisco , Google und Intel haben Milliardensummen in neue Technologien investiert. Während die Wirtschaft mit IT-Anschaffungen zögert, boomt das Geschäft mit konsumentenorientierten Technologien wie Smartphones, Internet-Suche und Social-Media.

Die Schwergewichte aber konkurrieren zudem mit Startups um die talentiertesten Kräfte. Ihren attraktiven Gehältern und exzellenten Karrierechancen setzten die Neulinge die Aussicht auf ein kreatives Umfeld und das Dabeisein bei völlig neuen Entwicklungen entgegen. Google hat allein in den ersten drei Quartalen 2010 weltweit circa 3.500 Mitarbeiter eingestellt. Vor allem in den Vertriebs- und Entwicklungsabteilungen stöbert der Suchspezialist im gleichen Fachkräfte-Pool wie die Konkurrenz von Facebook, der ebenfalls drastisch seine Aktivitäten vergrößert. Cisco will zwischen 2.000 und 3.000 Mitarbeiter wachsen.

Auf dem Internet-Stellenservice Dice.com sind die Angebote in Technologieberufen seit dem letzten Jahr US-weit um 38 Prozent gestiegen – im Silicon Valley aber wuchsen die Listen gleich um 64 Prozent. Laut der Firma Indeed, die Stellenangebote von Firmen-Webseiten zusammenfasst, verzeichnen Apple und Google die meisten offenen Stellen. Dringend gesucht sind etwa Java-Programmierer, Netzwerk-Ingenieure und Sicherheitsanalysten. Auch Experten für Cloud-Computing, User-Interface-Designer, Virtualisierungs-Ingenieure sind offensichtlich knapp, ebenso wie Experten für Mobiltechnologien.

Redbeacon, ein 2008 von Ex-Google-Mitarbeitern gegründetes Startup, hat gerade seinen ersten Vollzeit-Recruiter angeheuert. Die Internetfirma erstellt Preisvergleiche für Dienstleistungen wie Gartenpflege und Reparaturen. Für dringend benötigte Neueinstellungen sieht die junge Firma „eine der schwierigsten Situationen im Technologiesektor seit langem“.

Das Social-Network Linkedin begann das Jahr mit 450 Mitarbeitern und will bis Jahresende 850 Menschen beschäftigen. Facebook wuchs seit Januar von 1.100 auf bisher 1.700 Angestellte. Die Personalliste von Box.net, dem Anbieter des Online-Speicherdienstes Dropbox, ist in diesem Jahr um 70 Prozent gewachsen. In Kürze muss das junge Unternehmen umziehen, um Platz für weitere Mitarbeiter zu schaffen.

Abwerbungen bei Konkurrenten und bei Großfirmen wie Cisco und Google gehören, wie während des Internet-Booms vor rund zehn Jahren, wieder zum selbstverständlichen Repertoire der Personalchefs. „Wir müssen uns gewaltig anstrengen, um gute Leute zu holen,“ bekennt Jay Parikh, Entwicklungsdirektor von Facebook, einem der begehrtesten Arbeitgeber. Alle Internet-Firmen, gleich ob Cisco, Facebook, Google oder Yahoo, stießen bei der Talentsuche auf die gleichen Schwierigkeiten: Das Angebot sei schlicht niedriger als die Nachfrage.

Erich Bonnert/dapd / Foto: Headquarters von Cisco Systems in San Jose/TechFever

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